„Ein Mülleimer für den Corona-Frust“

Unsere diplomierte Ehe-, Familien- und Lebensberaterin Petra Pöschl-Lubei hilft als Elternberaterin und -bildnerin Erziehungsberechtigten in scheinbar ausweglosen Situationen. Ein Interview über die Härte der Pandemie, das großartige Lernen von Eltern wie Kindern in der Krise und das „heilende“ Gespräch mit Freund*innen. Zudem ein Blick zu den Kindern in unseren Einrichtungen und Projekte.

Seit einem Jahr hält Covid-19 die Welt in Atem. Wie erleben Sie als Elternbildnerin und -beraterin Eltern & Co in der Härte der Pandemie?
PÖSCHL-LUBEI: Corona hat die Rahmenbedingungen sehr verändert. Die Pädagog*innen, Eltern und Schüler*innen suchten lösungsorientiert neue Wege und haben sie auch gefunden. Die Eltern und Kinder lernten im Umgang mit Computer und Medien viel; die Kinder auch in puncto Selbstständigkeit und Selbstorganisation, weshalb es wichtig war, dass sie ein Halbjahreszeugnis bekommen haben. Ich bin beeindruckt, wie viele Menschen ihr Bestes geben, damit die Kinder trotz Corona Bildung erfahren können. Respekt allen, die sich engagieren, durchhalten und großartige Arbeit leisten!

Wie geht es den Kindern in der Krise?
PÖSCHL-LUBEI: Viele leben so weiter wie bisher und sind, wie Kinder eben sind: Sie machen Streiche, sind fröhlich, spielen und wollen genau so viel Anerkennung und Aufmerksamkeit wie vor der Krise. Andere Kinder leiden. Für sie ist die Zeit schwer, weil sie wenig in Kontakt mit anderen und dadurch stark einsam sind. Hatten sie vorher schon Probleme, so verstärken sich diese jetzt.

Arbeitsprojekt im Kosovo & Lerncafé in Kärnten

Wir haben uns auch in unseren Einrichtungen in Kärnten und im Ausland umgehört.

„Die meisten Jugendlichen hatten das Gefühl, dass es keine Hoffnung auf Arbeit gibt. Sie waren weniger motiviert oder passiv; litten an Ängsten, Stress oder gar Depressionen.“ Bernadeta Gjergji, Jugendberaterin von „Your Job“, einem Caritas-Projekt gegen Jugendarbeitslosigkeit im Kosovo


„Das Verhalten der Kinder hat sich im Laufe der Schulschließungen und Lockdowns verändert. Sie sind wesentlich ruhiger geworden und haben sich zurückgezogen. Es machte sich teilweise eine beunruhigende Stille breit. Die größte Herausforderung ist es, den Bezug zu den Kindern und Jugendlichen nicht zu verlieren.“ Christoph Schwingshakl, Leiter des Caritas-Lerncafés Concordia in Klagenfurt

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Was brauchen Kinder gerade in Zeiten der Instabilität und Unsicherheit?
PÖSCHL-LUBEI: Sie brauchen Eltern, die ihnen einen stabilen, strukturierten, sicheren und klaren Rahmen geben, die mit ihnen so gut es geht Normalität leben und ein Stückchen Leichtigkeit in den Alltag bringen. Außerdem sollten sie kindgerecht über Corona informiert werden – so viel wie notwendig und nicht zu viel, damit es die Kinder nicht belastet.

Die Caritas hat zu Beginn der Krise den sogenannten „Elterntreffpunkt digital“ eingeführt. Wie läuft der?
PÖSCHL-LUBEI: Wir bieten seit mehreren Monaten die Elternbildung und -beratung digital an. Das Interesse ist sehr groß. Bei diesem kostenlosen Angebot erhalten Eltern von (Klein-)Kindern und Jugendlichen zu Erziehungsfragen Information, Rat und Austausch. Sollten individuelle, das eigene Kind betreffende Fragen auftauchen, können diese montags von 8 bis 12 Uhr am sogenannten Elterntelefon unter der Nummer 0664/80 64 88 343 mit mir vertieft und besprochen werden.

Apropos besprechen. Welche Probleme gibt es?
PÖSCHL-LUBEI: Mit der Krise entsteht in der Familie durch das ständige Zusammensein mehr Frust und Stress. Den Frust sollte man unbedingt loswerden. Man braucht ein bisserl einen Mülleimer dafür. Das kann ein „heilendes“ Gespräch mit einer guten Freundin oder einem Freund oder in einer Beratungsstelle sein. Außerdem muss man schauen, wo man die Akkus wieder füllen kann. Denn wenn man keine Energie hat, sieht man auch keine Lösung für das Problem mehr. Jede*r sollte sich zu Hause einen Rückzugsort suchen, um neue Perspektiven zu entdecken. Auch in einer kleinen Wohnung sollte das möglich sein.

Viele Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder wegen der Lockdowns die Schule nicht schaffen könnten. Diese wiederum haben von „Homeschooling“ und „Distance Learning“ die Nase voll. Was in dieser Situation tun?
PÖSCHL-LUBEI: Die Frage der Eltern „Schafft mein Kind die Schule?“ ist in der Tat oft das größte Problem. Die Eltern setzen sich damit selbst sehr stark unter Druck, geben diesen an das Kind nicht selten weiter und bewirken damit das Gegenteil des Erhofften. In so einem Fall sollte man sich vorher Hilfe holen, um zu erfahren, wie man wieder gut in Kontakt mit seinem Kind kommen kann.

Schule in Kenia & Kindergärten in Kärnten

Wir haben uns auch in unseren Einrichtungen in Kärnten und im Ausland umgehört

„Homeschooling funktionierte nicht. Die meisten Kinder auf dem Land, die Schulen und sogar die Lehrer*innen haben noch nie einen Computer gesehen, sodass der Zugang und die Verwendung derselben für sie wie eine Fata Morgana sind. Viele Kinder hungerten auch und litten physisch, emotional und psychisch aufgrund der hohen Arbeitsbelastung daheim in der Landwirtschaft und des Mangels an Wasser, Nahrung und Gesundheitsversorgung.“ Wario Adhe, Direktor von Pacida, der Partnerorganisation der Caritas Kärnten bei ihren Hilfsprojekten in Kenia

„Die Kinder freuen sich auf den Besuch bei uns. Ihr Rede- und Erzählbedarf ist gestiegen. Sie fordern mehr Zeit für den Austausch und das freie Spiel mit ihren Freund*innen. Der soziale Aspekt spielt eine große Rolle. Was wir jetzt dringend benötigen, sind kleinere Gruppengrößen.“ Stefanie Dobnig, Kindergartenpädagogin, Pfarrkindergarten Griffen

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Wie kann das am besten gelingen?
PÖSCHL-LUBEI: Über Kommunikation. Ich frage nach: Wie geht es dir? Was brauchst du? Was machst du gerade? Ich höre bedingungslos zu, also ohne zu werten und Druck zu erzeugen. Ich genieße die Momente der Gemeinsamkeit. Zwischendurch schaue ich mein Kind an und sage ihm: Ich habe dich so lieb, wie du gerade bist.

Etliche Menschen sehen nur noch schwarz. Was empfehlen sie ihnen?
PÖSCHL-LUBEI: Ich kann in den Problemen hängen bleiben und sagen: Es ist so schlimm. Oder ich versuche, das Beste daraus zu machen. So kann ich zurzeit nicht ins Kino gehen, aber daheim mit meinen Lieben einen Kinoabend gestalten. Ich kann auch nicht ins Restaurant, aber mir dafür eine Pizza nach Hause bestellen, den Tisch schön decken und mich so anziehen, als würde ich fortgehen.

Alle Kinder sollten die gleichen Rechte haben – egal, welches Los sie in der Geburtslotterie gezogen haben und wo sie auf die Welt gekommen sind. Wie sehen Sie das?
PÖSCHL-LUBEI: Alle Kinder haben die gleichen Bedürfnisse, aber leider nicht die gleichen Möglichkeiten. Dass Kinder in den verschiedensten Ländern der Welt nicht einmal die Grundversorgung, also Essen und ein Zuhause, haben, geschweige denn die Möglichkeit, an Bildung und einer wertschätzenden Unterstützung teilzuhaben, ist eine starke Ungerechtigkeit. Dabei ist genug für alle da. Um im Großen eine Änderung zu bewirken, muss man im Kleinen und bei sich selbst beginnen. Jeder oder jede Einzelne kann seinen oder ihren Kindern Werte, wie Solidarität und Nächstenliebe, vorleben, sodass aus den Jungen eine gesunde Generation wird, die die Kraft hat, eines Tages die Welt ein wenig zu verändern.

So engagiert sich die Caritas

Wir arbeiten aktiv daran, Bildung trotz der Covid-19 -Einschränkungen weiterhin möglich zu machen. Wir engagieren uns in Kärnten für Kinder aus sozial benachteiligten Familien und mit vielen Projekten für die ärmsten Kinder in der Welt. Wir setzen uns dafür ein, dass Kinder ihr Recht auf Bildung und eine chancenreiche Zukunft leben können und bittet daher für ihre Kinderprojekte in der Welt um Spenden.